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Hilfe! - Die Sache mit dem Komma

Wie viele Fehler verträgt eine Bewerbung?

von Gerhard P. Hoppe

Das Komma ist tot. Es lebe das Komma. Ist das richtig gesetzte Komma im schriftlichen Deutsch überhaupt noch wichtig? Unsere Sprache entwickelt sich immer mehr zu einem Chaos. Von Anglizismen und Neologismen über den inoffiziell mittlerweile begrabenen Dativ bis hin zum Genderwahn scheint es kaum noch verbindliche Gemeinsamkeiten zu geben. Und ob es damit nicht bereits genug wäre, wollen einseitig ausgebildete Moderatoren und Off-Sprecher im TV offensichtlich jetzt auch noch den Akkusativ eliminieren.

Das erfolgsverwöhnte Literaturdeutsch der vergangenen Jahrzehnte wird engagiert von Schriftstellern, renommierten Verlagen und Sprachwissenschaftlern verteidigt, während hingegen Onlinemedien kein Lektorat zu kennen scheinen und wild drauflos schreiben. Der verändernde Einfluss der digitalen Medien wurde bereits 2014 von einer Forsa-Studie festgestellt, wonach u.a. 14 % auf eine Verschlechterung in Rechtschreibung, Grammatik und Interpunktion entfielen. Seitdem ist die Zeit noch weiter vorangeschritten und im Angesicht gut bekannter PISA- und IGLU-Studien läuft das auf einen harten Kampf hinaus. Kaum zu glauben, dass es immer noch den Rat für deutsche Rechtschreibung gibt, der die maßgebende Instanz in Fragen der deutschen Rechtschreibung sein will.

Kommen wir damit zu einer spannenden Frage. Spielen Orthografie und Interpunktion bei der Bewertung einer schriftlichen Bewerbung überhaupt noch eine Rolle? Es gab tatsächlich eine Zeit, da fiel ein Bewerber unangenehm auf, wenn er Schreib- und Zeichenfehler machte. Nach meiner Wahrnehmung ist das noch gar nicht so lange her. Aber der Mangel an Fach- und Führungskräften scheint auch in diesem Punkt zunehmend Zugeständnisse einzufordern. Zudem bleibt die berechtigte Frage, ob Grammatikkenntnisse Rückschlüsse auf die (fachliche) Qualifikation zulassen oder ob sie lediglich so etwas wie intellektuelle Eigenschaften repräsentieren. Also, der Physiker sollte beim Rechnen zumindest das Dezimalkomma an die richtige Stelle setzen und nur bei wenigen Berufsgruppen stoßen wir in diesem Thema auf harte Ausschlussfaktoren.

Als Personalberater habe ich in gut drei Jahrzehnten Tausende von Bewerbungen gesehen, wenn auch nicht alle komplett gelesen. Die zunehmende Verrohung in der Rechtschreibung und Zeichensetzung ist mir dabei schon vor so vielen Jahren aufgefallen, dass ich mich mittlerweile daran gewöhnt habe. In der Tat sind mir aber gerade in jüngster Zeit einige wenige Bewerbungen positiv aufgefallen, weil zu meinem Erstaunen kein Komma gefehlt hatte und jedes an der richtigen Stelle saß. Und wenn Sie jetzt glauben, dass es Bewerber mit sechsstelligem Jahreseinkommen waren, liegen sie falsch. Selbst die Riege hochbezahlter Führungskräfte offenbart in diesem Kapitel Lücken, über die heute beinahe zwangsläufig hinweggesehen wird.

Dabei ist der Kampf um das richtig gesetzte Komma keineswegs neu. Ich erinnere mich gerne an eine Anekdote, die mein mittlerweile längst verstorbener ehemaliger Chef gerne auf jeder Abteilungsfeier zum Besten gab. Es war in den frühen 1970er Jahren, einer Zeit, die reichlich anders war als die heutige. Damals trug man noch das Hemd in der Hose, eine unverheiratete Frau wurde mit „Fräulein“ angeredet und Briefe wurden zwar nicht mehr mit dem Federkiel, aber mangels PC und Word mit einer fortschrittlichen elektrischen Schreibmaschine getippt. Mein Chef hatte damals einen Lehrling (Anmerkung: Vorläufer der heutigen Auszubildenden) in der Abteilung. Es war das 17-jährige Fräulein Meyer. Es hatte einen eineinhalbseitigen Brief diktiert bekommen und versuchte nun, ihn zu Papier zu bringen. Die erste Version ließ der Chef zurückgehen, weil einige Satzzeichen falsch gesetzt waren. Und auch bei den weiteren Versuchen hatte Fräulein Meyer keinen durchschlagenden Erfolg. Nur zur Erinnerung: bei Schreibmaschinen gab es keine ausreichenden Korrekturmöglichkeiten. Schlichen sich also Fehler ein, so wurde ein neuer Bogen Papier eingespannt und alles ging von vorne los.
Drei Stunden später öffnete der Chef die Unterschriftsmappe und fand den Brief, der jetzt völlig ohne Beistriche erstellt war. Aber unten auf der zweiten Seite waren drei Zeilen komplett mit Kommata gefüllt. Dabei lag ein Zettel, auf dem handschriftlich stand: „Setzen Sie sich Ihre Kommas doch selbst.“

Kultur und Sprache leben und unterliegen permanenter Veränderung. Aber in der deutschen Grammatik hat sich, abgesehen von einer umstrittenen Rechtschreibreform 2006, kaum etwas verändert. Die Regeln für das hart umkämpfte Komma sind geblieben. Sie helfen einem Autor, Missverständnisse zu vermeiden und dem Leser, einen Text leichter zu erfassen, wie die nachfolgenden Beispiele deutlich machen.

Komm, wir essen, Oma.
Komm, wir essen Oma.

Was willst du schon wieder?
Was, willst du schon wieder?

Du hast den schönsten Hintern weit und breit.
Du hast den schönsten Hintern, weit und breit.

Der brave Mann denkt an sich selbst zuletzt.
Der brave Mann denkt an sich, selbst zuletzt.

Fazit: es lohnt sich gerade wieder, Aufmerksamkeit und ggf. etwas Mühe in eine fehlerfreie Orthografie und Interpunktion zu investieren. Eine Überprüfung z.B. bei ChatGPT & Co. kann dabei sehr hilfreich sein, aber es zeigt sich, dass auch künstliche Intelligenzen ihre Grenzen insbesondere bei der Zeichensetzung schnell erreichen.

Das alles hat natürlich auch einen Haken. Positiv auffallen mit einer korrekt geschrieben Bewerbung kann man selbstverständlich nur bei Lesern, die den Unterschied zwischen richtig und falsch erkennen. Wie Sie sehen, bleibt die Sache mit dem leidigen Komma schwierig. Also, was bleibt? Komma frei nach Schnauze? Die Entscheidung trifft jeder für sich selbst.

© 2023 Gerhard P. Hoppe
www.menschundkarriere.de